Pressemitteilung des Netzwerk Freie Szene e.V.
Stellungnahme zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes
Nach monatelangen Schließungen, in denen es keine substanziellen Perspektiven für die Künste gab, schreibt die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes diesen Zustand für unbestimmte Zeit weiter fest. Trotz umfangreicher Hygienemaßnahmen, die unter großem Aufwand umgesetzt wurden und überdies ganz offensichtlich fruchten – dies wurde anhand verschiedener Modell- und Pilotprojekte wie beispielsweise in Berlin, in Tübingen oder auch im Saarland bewiesen, fehlt den Kunst- und Kulturschaffenden jegliche Perspektive und Planbarkeit. Daher ist die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes aus kultureller Sicht eine Katastrophe. Nach wie vor wurde keine einzige Ansteckung in einem Theatersaal o.Ä. nachgewiesen. Die Politik betont zwar immer wieder, wie wichtig die Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei, doch ist dies nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Immerhin ist die Freiheit der Kunst im Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 3, festgeschrieben. Doch während man aufgrund der Religionsfreiheit Sonderregelungen für diese erlässt, wird die Kultur – das macht das neue Infektionsschutzgesetz überdeutlich – unter fernerliefen gehandelt. Der lapidare Hinweis auf finanziellen Ausgleich für ausfallende Kulturveranstaltungen ist entlarvend: Keine Rede mehr von der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Kultur, keine Rede von der Freiheit der Kunst, keine Rede von ihrer Rolle für unsere Gesellschaft, von ihrer Lebendigkeit, vom Erleben von Gemeinschaft trotz Distanz-Gebot, keine Rede von ihrer Rolle für die Demokratie.
Wir Kulturschaffenden sind weder Coronaleugner noch Querdenker. Dass Kultur und Infektionsschutz sich nicht widersprechen, das haben wir im letzten Jahr bewiesen. Die Hygienekonzepte, die der Kulturbereich ausgearbeitet hat, sind sicherer als in jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens. Selbstverständlich wünschen auch wir uns, dass die Infektionszahlen zurückgehen, selbstverständlich solidarisieren wir uns mit besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen und selbstverständlich plädieren auch wir dafür, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie einheitlich umgesetzt werden. Doch protestieren wir lautstark gegen undifferenzierte Maßnahmen, deren Wirkung höchst fragwürdig ist. Wir protestieren dagegen, dass Konsum und wirtschaftliche Interessen offensichtlich noch immer über die Interessen des Gemeinwohls gestellt werden. Wir protestieren dagegen, dass die Kultur auf Bundesebene immer noch gleichgesetzt wird mit bloßem Freizeitvergnügen, und nicht, wie es beispielsweise im Saarland der Fall ist, als außerschulische Bildungsstätte anerkannt wird. Und wir protestieren dagegen, dass die überaus erfolgreiche Umsetzung von Hygieneregeln einfach ignoriert wird.
Wir fordern, dass Kultur als das anerkannt wird, was es ist: Bildung – des Geistes, des Herzens, der Persönlichkeit, der Gesellschaft und ihres Zusammenhaltes.
Wir fordern die Ermöglichung von Kultur mit strengen Hygienevorschriften. Sollten die Inzidenzwerte in den nächsten Wochen und Monaten nicht signifikant sinken, so wird dieser Sommer ein verlorener Sommer – für die Kultur und die Menschen. Schließlich geht es hier um gesellschaftliche Teilhabe – insbesondere die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen und älteren Menschen.
Wir fordern die Möglichkeit von Modellprojekten und die konsequente wissenschaftliche Auswertung der bisherigen Projekte, um auf dieser Basis auch in naher Zukunft, in der das Coronavirus unser Leben nach wie vor bestimmen wird, Perspektiven zu schaffen.
Und vor allem fordern wir, dass die Politik von ihren Bekenntnissen zu Kunst und Kultur endlich zum Handeln übergeht. Sonst sehen wir schwarz für die kulturelle Zukunft dieses Landes.