Foto: Corinna Irmer
Auf die Einladung zur Ausstellung KENNZEICHEN SB in der Stadtgalerie Saarbrücken hin, bin ich gut ein Jahr lang zusammen mit Dirk Gebhardt immer wieder durch’s nächtliche Saarbrücken gestreift. 30 Sekunden Belichtungen mit der Digitalkamera und beiläufige zeichnerische Notizen meinerseits. Immer einen bestimmten Stadtteil an jedem Abend. Manchmal auch zwei verschiedene. Was macht eine Stadt aus? Eine bestimmte Stadt? Man verbindet mir ihr natürlich gewisse Erinnerungen. Vorstellungen. Was empfindet man als typisch? Was als fremd? (Eine der für Saabrücken typischen Eigenschaften ist ja der ausgeprägte Minderwertigkeitskomplex, der in einer seiner Auswirkungen zu solchen Kapriolen führt, wie den Drehbüchern des Saar-Tatorts. Ein Wunschbild, das einem penetrant auf’s Auge gedrückt wird.) Eine der ersten Ideen war denn ja auch, nach Forbach zu gehen, dort zu fotografieren und den Betrachter damit zu konfrontieren; mit dem nämlich, was, wie immer behauptet, ach so nahe liegt, und dann doch so unbekannt ist. Zumindest bei den meisten. Auch bei mir natürlich. Das Schönste an Saarbrücken, so schien es mir bereits in meiner ersten Saarbrücker Zeit (von 1986 bis 1990) sei die Tatsache, dass es so nahe bei Frankreich liegt. Saarvoir vivre. (Oder wie man im knapp 25 km entfernten Wiebelskirchen 1987 Erich Honecker auf seinem Staatsbesuch mit „Salü Erich“-Transparenten begrüßte: dies sogar doppelt falsch.)
Es entstehen nun allerdings Fotos nicht in Forbach, sondern in Saarbrücken selbst, auf denen man durch die 30-Sekunden-Belichtung mehr erkennt als mit bloßem Auge; dagegen stehen die Zeichnungen, die, sehr schnell und sehr spontan gemacht, entsprechende Eindrücke notieren.
Worauf es irgendwann, aber relativ schnell, ankam: alle Ideen über Bord zu werfen, einfach nur umherzulaufen und zu gucken. Tatsächlich finden sich Ecken, in denen man noch nicht war. Und in den vertrauten Gegenden durchaus auch sehr unvertraute Ansichten. Wenn sich nun jemand das Ergebis betrachtet, das ein oder andere wiedererkennt, über manche Ansicht staunt, manche ihn befremdet, es ihn dadurch aber vielleicht dazu bringt, selbst wieder einmal durch die Stadt zu laufen und sich die Dinge genauer anzusehen, was könnte man mehr erreichen?
In den Eröffnungsreden zur Ausstellung KENNZEICHEN SB wurde immer wieder (und von allen Rednern) betont, wie überraschend es sei, dass sich so wenige Künstler mit aktuell anstehenden und teilweise kontrovers diskutierten Problemen der Stadt auseinandergesetzt hätten. Dies mag wohl stimmen. (Wobei die sogenannte „Stadtmitte am Fluss“ durchaus, wenn auch ironisch gebrochen, als Randthema immer mal wieder kurz aufgeleuchtet hat.)
Uns ging es um die Wichtigkeit der individuellen und eigenständigen Wahrnehmung. Das Fremde und das Vertraute. Auch um die Frage, was kann die Fotografie, was kann die Zeichnung? (Ein altes Thema: die Angemessenheit des Mediums, sozusagen. Die Skizze als Kunstform. Die Unterschiede in Tun und Wahrnehmung zwischen Fotografie und Zeichnung. Usw. usf.) Eine andere Frage, die sich von Anfang an stellt: Ist diese Stadt, im Vergleich mit anderen, jetzt wirklich soooo anders, sooooo besonders französisch, sooooo irgendwie?
Wer eigenständig wahr nimmt und sich Gedanken macht, sich die Dinge selbst ansieht, anstatt sich von öffentlich gerade lancierten Themen leiten zu lassen, ist ein politisches Wesen. Die Stadt bin ich. Der Staat bin ich. Nicht nur die gezeigten Bilder gilt es zu hinterfragen. Nicht zuletzt auch deshalb stehen Zeichnungen neben Fotos, in unterschiedlichen Rhythmen wechselnd, in unterschiedlich lange dauernden Loops immer neue Kombinationen findend. Die handgemachte Zeichnung kommentiert das Foto, das Foto stellt die Zeichnung in Frage. C’est tout, wie der Lateiner sagt…