“Zeitweise unwohnlich” ist ein Ausstellungsprojekt in der gerade bezogenen und für diesen Anlaß schon wieder leer geräumten Karlsruher Wohnung Dirk Gebhardts. Neben den Malereien und Plastiken von Stephan Flommersfeld und den Zeichnungen von Klaus Harth präsentiert er sich mit eigenen fotografischen Arbeiten.
Stephan Flommersfeld war durch seine jahrelange Arbeit im Bereich des Kurzhörspiels und der literarisch-musikalischen Montage seinen angestammten bildnerischen Ambitionen schon fast abspenstig geworden, als die Durchsicht eines Familienalbums einen Nachhall in ihm erzeugte, der die Kindheit wieder bildgewaltig verlebendigte. Seine Kinderdarstellungen zeigen Verletzlichkeit und beschädigenden Einfluß, unterlaufen jeden Anschein der Verniedlichung und verleihen dem kindlichen Antlitz Ernst und Würde, doch machen es auch zum Schlachtfeld ungebremster Gefühle. Mit Klaus Harth verbindet ihn seit dem Studium ein freundschaflich geführter künstlerischer Dialog.
Klaus Harth lebt und arbeitet in der Nähe seiner Geburtsstadt Neunkirchen/Saar. Seit 1997 Arbeit an der Serie “einen Vogel zu haben ist besser, als nichts zu haben: das ideale Rotkehlchen”, die mittlerweile auf 1080 Bilder angewachsen ist. 2002 – 2005 Arbeit am “Honecker-Museum”. Die Postkartenaktion “100 Tage – 100 Zeichnungen” wird 2002 im Mezzanin der Galerie Ernst Hilger in Wien gezeigt.
Dirk Gebhardt hat sich lange Zeit der konventionellen Fotografie gewidmet und ist nun – nach einigen Jahren – (auch) als Berufsfotograf dabei, einen Schwenk in eine andere Richtung zu vollziehen, was sich durchaus nicht nur auf die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der digitalen Fotografie bezieht. Immer fotografieren ist gut – immer fotografieren ist besser, möchte man in Abwandlung eines Ausspruches Adolph von Menzels sagen, unterwegs schnell Beobachtungen und Gedanken zu notieren, andererseits aber auch zum Ablichten wohldurchdachter Inszenierungen oder aber, um bei manchen Dingen genau hinzuschauen.
Es changiert zwischen Skizze, Mode, Lifestyle und Kunst, Auftrag und freier Arbeit. Die Welt als Abbild und Wahrnehmung. Die Zimmer werden also teilweise geräumt und durch künstlerische Interventionen mit einem sperrigen Kontext in Bezug gebracht, der die Besucher die Aspekte der Wohnlichkeit beinahe beiläufig reflektieren läßt. Drei unterschiedliche Positionen nehmen den Dialog miteinander auf und setzen, durch den Ort gebunden, die jeweiligen Erfahrungswelten miteinander in Bezug.
Ein Blick von oben auf den Werderplatz zeigt einen Alltag, der sich vielleicht durch die in der Ausstellung gesammelten Eindrücke neu befragen läßt.
Flommersfelds Plastiken sind beunruhigende Gefährten. Stelzenartig balancieren sie ihre gefährdete Identität und reihen sich zum Chor trotziger Sternsinger, die ihre jeweilige Spannung in mimischen Gewittern entladen. Neben dem Frühstücksei halten sie ihren Kopf hin, begegnen Messer und Gabel mal zagend mal mit Kampfgeschrei, irrlichtern zwischen Butterblume und Konfitüre und faseln in exotischen Sprachen von ihrem wechselvollen Schicksal. Teilweise erobern ihre Fratzen die Wände, gleichen gotischen Wasserspeiern, die ihre unheilvolle Aura kaum verbergen können. So werden sie zu einer Anfrage an die eigene Existenz, die sich kaleidoskopartig in ihren emotionalen Facetten bricht. Dasselbe gilt auch für die Malerei Flommersfelds: auch hier tummeln sich Köpfe und spielen mit dem emotionalen Haushalt.
Die von Dirk Gebhardt in dieser Ausstellung gezeigten Fotos werden zum Teil als Abzüge klassisch wohnlich an der Wand platziert, zum Teil, als Zwischending zwischen Verballhornung des guten alten Dia-Abends und Anspielung auf gängige Praktiken der Videokunstpräsentation, per Beamer auf die runden Deckenlampen projiziert. Es wird eine auf einem Bildschirm ablaufende Diashow zu sehen sein, die die Flommersfeldschen Plastiken mit dessen akustischen Collagen in Beziehung setzt und somit fast wie eine Bildpräsentation in einem kunsthistorischen Museum daherkommt, dann aber durch die Klangebene derartige Erwartungshaltungen unterläuft. Hier überführen die Künstler ihre Arbeiten in einen reflexiven Prozeß, der etwas Neues, ein künstlerisches Surplus entstehen läßt. So wird u.a. auch ein Stück zu hören sein, das von
Klaus Harth auf einem von Stephan Flommersfeld konzipierten und selbstgebauten Instrument eingespielt wurde.
Die in der Ausstellung von Klaus Harth zu sehenden Zeichnungen beruhen auf einer in der ehemaligen Pforzheimer Wohnung Dirk Gebhardts entstandenen Idee: das Bild vom Sofa über dem Sofa. Abbild und Wirklichkeit. Die Gestaltung von Wohnung und Lebensumfeld. Immer wieder entstanden in den in den letzten Jahren häufig wechselnden Wohnungen Gebhardts kleine Skizzen und Notate. Dieselben Gegenstände in unterschiedlichem Zusammenhang. Vergleichbare Gestaltungsprinzipien. Am Wochenende des 6./7. Septembers entstehen 28 Zeichnungen zum Ist-Zustand in der Karlsruher Wohnung, die zu
einem kalenderartigen Block zusammengefasst werden. Nach dem Aufbau der Ausstellung soll ein zweiter Block gezeichnet werden: ein weiterer Ist-Zustand, Haben und Sein, Soll oder Ist.
Alle Exponate räumen wieder ihren Platz, sobald die vorher verabredete Zeit abgelaufen ist. Ein etwaiges Nachbeben im Kopf des Betrachters gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen. Im Gegensatz zu öffentlichen Ausstellungsräumen, in denen die jeweiligen Ausstellungskonzepte dicht aufeinander folgen, wird es bei uns wieder wohnlich. Aber auch dies hat mit der Anordnung von Dingen zu tun. Allerdings auf längere Sicht. Ein kleines Nachbeben beim Treppabgehen hat noch keinem geschadet. Schließlich sorgt ein Geländer für festen Halt.
S.F., D.G. und K.H. im Sommer 2008.
„Die Weitsichtigen sind unglücklich in den Städten, weil dort ihr Blick ständig gegen eine Mauer stößt, was ein unerklärliches körperliches Unbehagen hervorruft. Im Gegensatz dazu die Kurzsichtigen, sie passen sich den Städten an, fühlen sich aber verloren und leicht benommen in einer Landschaft wie dieser hier.“
Marcel Duchamp.
Soweit der Plan. Die Ausstellung kam damals dann doch nicht zustande. Mittlerweile, vor ziemlich genau einer Woche, haben wir Kühlschrank, Herd, Waschmaschine und andere Wohnungsbestandteile in ein Auto geladen, sind ca. 20 – 30mal ziemlich weit nach oben rauf und runter gelaufen und der damalige Wohnungsmieter wohnt jetzt in München.
Manche Dinge muss man vielleicht auch gar nicht realisieren. Die Idee bleibt fest in den Köpfen der damit befassten Protagonisten und steht in der Erinnerung wie eine Eins. Fast so, als hätte es das alles wirklich gegeben. (Anmerkung: Die Zeichnungen gibt es ja auch wirklich, das Filmchen KUPFERROHRMUSIK gibt es ja auch wirklich und die Skulpturen und Bilder standen und hingen wirklich eine lange Zeit bei Dirk in der Wohnung und veränderten die Wahrnehmung derselben.) Und das potentielle Publikum weiß noch nicht mal, was es alles verpasst hat (mal wieder).
„Von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt, wurde das Kind mit viereinhalb Jahren größenwahnsinnig“ (Bodo Kirchhoff).