Im September 2012 durfte ich ein Konzept zur bildnerischen Ausgestaltung zweier Stockwerke der Nebenstelle Heidenkopferdell des Saarbrücker Amtsgerichtes vorlegen. Ende 2013 erhielt ich dann den Zuschlag für diesen Auftrag, dessen Realisierung, umfassend der detaillierteren Ausarbeitung des Konzeptes und Erstellung bis Montage der fertigen Arbeiten sich bis zum 13. Dezember 2014 erstreckt hat. Oben einige Abbildungen auch zur Situation vor Ort.
Im Folgenden einige Gedanken aus meinem überarbeiteten Bildkonzept aus dem Frühjahr 2014, aktualisiert und textlich angepasst für harthbasel im Februar 2015.
Gedanken zum Bildkonzept:
Bereits nach der ersten Besichtigung der zu bespielenden Räumlichkeiten im September 2012 stand für mich folgende Frage als erstes im Raum:
Was machen nun also Bilder im Gerichtsgebäude?
Wenn man nun davon ausgehen soll, dass sie die dort wartenden Menschen nicht agressiv
stimmen sollen, es aber auch nicht Aufgabe der Kunst sein kann, Dinge zu beschönigen,
so muss die Kunst einen anderen Weg finden.
Wenn man nun davon ausgehen soll, dass man die dort wartenden Menschen nicht
intellektuell überfordert oder sie gar unmutig stimmt, man aber andererseits mehr erwarten
sollte, als dass jemand Pril-Blumen an die Wand klebt, so muss die Kunst einen anderen
Weg finden.
Für die dort arbeitenden Richter und anderweitig beschäftigten Menschen dagegen ergibt
sich die Aufgabe, sie auch auf einen längeren Zeitraum gesehen nicht zu unterfordern und
zu langweilen. Also dann doch einen gewissen intellektuellen
und optischen Reiz zu bieten.
Ich stricke also ein T-Shirt, dass gleichzeitig ein Norwegerpullover ist, der die einen wärmt
und das die anderen auch den Sommer über tragen können.
Was die Textilbranche mit Bestimmtheit nicht vermag, das vermag vielleicht die Kunst.
Wie im Gerichtssaal, so wird in der Kunst Wahrheit verhandelt.
Was ist wahr und was ist recht.
Was ist wahr und was ist Recht?
Was ist der Fall?
Was ist die Welt?
Ist die Welt der Fall?
Ist der Fall die Welt?
Was ich mir vorstelle, sind eine Anzahl Bilder aus zwei unterschiedlichen
Themenbereichen, die jedoch eines zumindest gemeinsam haben:
Sie sind auf mehreren Ebenen zu lesen und vermögen den Betrachter, so er will,
anzusprechen und zu beschäftigen.
Was mir bei meinen Ortsterminen ebenso aufgefallen ist: der extrem zerfasernde optische Eindruck
der Situation. Nicht nur die üblichen Wartestühle sind zu finden, jetzt gibt es auch auf den
Etagen selbst eine Reihe von cafeteria-ähnlichem Mobiliar. Zusätzlich an den Wänden
montiert Hinweisschilder nach allerei Art, was bei der Art der vorzuschlagenden bildnerischen
Eingriffe und Ergänzungen zu berücksichtigen ist.
Komplett klare Linie, sprich am besten monochrome Blöcke, die die optische Unruhe
ausbalancieren, oder, und das wäre eher „mein Ding“, Bilder, die mit der gegebenen räumlichen
(und inhaltichen) Situation spielerisch umgehen und auf mehreren Ebenen gelesen
werden können.
Ich dachte mir als bestmögliche Variante, die Räumlichkeiten optisch zu beruhigen eine
fries-artig Gestaltung.
Die Signalkästen mit den Lautsprechern und den Hinweisen „öffentlich“ oder „nicht-öffentlich“
sind 50cm hoch. Sie waren der Maßstab für die Anbringung langer Bilder, die sich von
Tür zu Tür ziehen und sich sowohl im 1. OG als auch im 2. OG möglichst an identischer
Stelle wiederfinden.
An einer Stelle im 1.OG wird dieser Fries aber auch formal gebrochen, um auf die beiden großen Bilder im EG Eingangsbereich
bezug zu nehmen. Dies sollte aber den Eindruck einer bildnerischen Vereinheitlichung
nicht wesentlich schmälern, vielleicht sogar eher betonen.
Ein weiterer grundlegender Gedanke wäre, 1.OG und 2. OG zusätzlich zu verbinden,
indem sich die gleichen Bilder auf den unterschiedlichen Stockwerken ab gleicher Stelle
wiederholen. Bis auf die Stelle der beiden größeren Bilder und an der Stirnwand im Treppenbereich
(hier findet sich im 1.OG ein Heizkörper, wo im 2. OG ein breiteres Bild passen
würde) schien dies sehr gut möglich.
Dies ist eine bildnerische Konzeption, die mich schon länger beschäftigt, die aber bisher
noch nirgends realisiert werden konnte:
Die Idee der Dopplung (oder annähernden Dopplung) der gleichen Bilder in unterschiedlichen
Räumen.
Dies wäre vor allem für diejenigen interessant, die sich öfter in dem Gebäude aufhalten
und auch die Stockwerke wechseln müssen; das scheinbar Gleiche in unterschiedlichem
Kontext und dadurch natürlich auch den Kontext wieder anders wahrzunehmen.
Welche Motivgruppen fänden Verwendung?:
1. Sitzgelegenheiten als individuelle, vergleichbare Formen
Wie z.B. beim Arzt oder in mittlerweile so genannten Arbeitsagenturen, wo man inzwischen
weder Kranker noch Arbeitssuchender mehr sein darf, sondern zum „Kunden“ degradiert
wurde, so vermitteln einem Warteräume öffentlicher Gebäude generell oft das Gefühl von
Identitätsverlust. Ich bin nur eine Nummer, bzw. ein Fall unter vielen. Man sitzt auf Stühlen
und wartet auf das wie auch immer geartete Schicksal, auf das man keinen Einfluss zu
haben scheint. Ebenso trist wie das entstehende Gefühl sind meist auch die Stühle, auf
denen man sitzt. Hat man Glück, sind sie wenigstens bequem.
Eine Bildidee, die mich umtreibt, wäre also das Portraitieren erst einmal einer ausgewählten
Sitzgelegenheit, wie man sie im Amtsgericht vorfindet, gepaart möglicherweise mit ein
oder zwei anderen Stühlen von außerhalb, damit das ansonsten eher unbeachtete Möbel
an Aufmerksamkeit gewinnt und in seiner Unterschiedlichkeit und Individualität wahrgenommen
werden kann. Diese Sensibilisierung für Unterschiede im scheinbar Gleichen
kann der Betrachter natürlich auch wieder auf sich selbst beziehen und dadurch ein Stück
Identität und Gleichgewicht zurückgewinnen.
Die vorhandenen Sitze im Amtsgericht kontrastieren sowieso bereits sehr hübsch mit dem
cafeteria-ähnlichen Mobiliar, das, wie berichtet wurde, vom Publikum ausgesprochen gerne
angenommen wird. Man sitzt also bequem und könnte sich in die Betrachtung der Stuhlformen
auf Bild und in Realität entspannt widmen. Das Aufgreifen von Formen, die einem
später in Sitzungssälen oder anderen Räumen begegnen können, wäre zusätzlich interessant.
Möglich sind hierbei auch direkte Dopplungen von Wirklichkeit und Abbild in nächster
Nähe, was den Raum zusätzlich optisch beruhigen könnte.
2. Ampelbilder
Neben dem Motiv-Konzept der Stühle möchte ich als zweites auf das Konzept der Ampelbilder
zurückgreifen:
In den Jahren 2004 und 2005 gab es eine Reihe von vielleicht etwas naiv gemalt anmutenden
sogenannten „Ampelbildern“. Von einem verballhornt-philosophisch angehauchten
Gedanken angeregt: „Wie fühlt sich jemand, der, egal wohin er kommt und zu welcher Zeit,
von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter nur auf Ampeln trifft, die „rot“ zeigen? Was macht
das mit Selbst- und Weltbild?“, könnte man eine mutige Brücke schlagen zu der Frage:
Was macht eigentlich die Justiz?
Sie schafft Interpretationen von Wirklichkeit, ordnet ein, spricht Recht, stellt Ampeln für
die betroffenen Parteien auf Grün, Gelb oder Rot. Deshalb fände ich als zweiten bildnerischen
Ansatz weitergedachte Ampelbilder durchaus geeignet. Mit etwas hoffnungsvollem
Blau am oberen Bildrand, darunter ein Wald aus Bäumen und Ampeln. Für den außenstehenden
Nichtjuristen sind die Bewertungs- und Einordnungskriterien der Juristen oft ein
undurchdringlicher und unverständlicher Dschungel. Bäume und Ampeln, wild gemischt,
geschaltet auf Grün, Gelb oder Rot.
Vielleicht ein etwas gewagter Symbolismus, aber man muss die Bilder ja nicht auf dieser
Ebene lesen.
Zwei große Ampelbilder fänden sich im 1. OG. Darüberhinaus werden sich die Motivstränge
auch auf unterschiedlichste Art und Weise mischen.
Diese Idee der beiden großen Ampel-Wälder ließ sich aber gerade bei den Juristen inhaltlich nicht durchsetzen. Vielleicht war der Symbolismus dann doch etwas zu gewagt. Es wurde ergänzt und geändert in zwei große Landschaften, die das Gerichtsgebäude in einer landschaftlich gebrochenen „Gegend“ darstellen, die Ampeln tauchen immer wieder in den anderen Bildern und Motivgruppen auf.
Der Vorteil dieser großen, das Gebäude selbst aufgreifenden, Landschaften ist denn ein anderer: Wir haben zusätzlich in dem Gesamtbildkonzept einen Blick von Außen ins Innere des Gebäudes und gehen bis hin zu den Stuhl-Motiven immer mehr ins Detail und auf’s Einelne, und wenn man die Stühle als symbolisch für „das Individuelle“ sehen will, sogar hin zum Einzelnen. Dies war ein gedanklicher Vorschlag aus einer Besprechungsrunde Ende März 2014, die ich interessant fand und gerne aufgegriffen habe.
Das Arbeiten in und für Situationen, die dafür scheinbar erst einmal nicht geeignet scheinen,
ist etwas, was mich von jeher sehr interessiert hat. Auch das Konzipieren von Bildern oder
Ausstellungskonzepten für Räume, die „man“ eigentlich nicht bespielt.
So fand bereits mein Vordiplom 1992 im Treppenhaus des Fachbereichs Bildende Kunst
der Johannes-Gutenberg-Universität statt und nicht in der Ausstellungshalle.
Und hier schließt sich der Kreis: Was machen eigentlich Bilder im Amtsgericht?
Alles in allem sind also Arbeiten entstanden, die sich inhaltlich und formal mit den gegebenen Räumlichkeiten
auseinandersetzen — wo man einfach nur „Stühle“, „Landschaft“ oder „Ampel“ sehen
kann, oder, sofern man kann und will, weiterführende Betrachtungen anzustellen vermag.
Alles ist so wie es ist. Aber es kann auch anders sein. Und darin liegt entscheidendes utopisches
Potential. Und ein bisschen utopisches Potential im Gerichtsgebäude, das kann ja
eigentlich nicht von Schaden sein.
„ohne Titel (Ikarus)“ ist ein Titel für den gesamten Komplex, der sich beim Malprozess eingeschlichen hat. Die individuelle Katastrophe ist nicht sichtbar, aber sie findet statt. Irgendwas an der Welt stimmt dann doch nicht, obwohl doch alles so schön blau ist.
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Pingback by zwischendurch « Zeichenblock — 24. Februar 2015 @ 11:11